Lesezeit ca. 5 – 6 Minuten

„Ins Burn-out gebetet!“

Es sind schon einige Jahre vergangen, seitdem ich diese Erlebnisse hatte, und doch ist alles sehr präsent. Die Erinnerung fühlt sich immer noch nicht gut an. Wie sollte sie auch. Doch kann ich inzwischen gut damit umgehen, solch skurrilen Praktiken ausgesetzt gewesen zu sein.

Der Weg in die Freikirche.

Ich war von je her neugierig und hatte immer große Lust, mit anderen Menschen gemeinsam etwas zu unternehmen oder zu organisieren. Da schien mir die christliche Gemeinschaft, in die ich mit meinem 23 Lebensjahr eintrat, die richtige Gruppe zu sein.

Es war ein wunderbarer Gedanke, dass ich überall auf der Welt auf Christen treffen würde. Ein schöne Perspektive, dass ich mich mit ihnen gleich verbunden fühlen würde. So war jedenfalls meine Vorstellung, kurz nachdem ich frisch zum Glauben gekommen war.

Zunächst fühlte es sich auch genauso an.

Die Freizeitangebote gefielen mir gut.

Ich fuhr mit auf gemeinsame Ski- oder Surffreizeiten, es machte mir Spaß, mit anderen jungen Menschen das Surfen und Skifahren zu erlernen. Unternehmungen, die ich nicht kannte und die damals gut in mein Leben passten.

Ich lernte verschiedene christlichen Gemeinschaften kennen, von ihnen wurden immer sogenannte Hauskreise angeboten. Das war ein spezieller Abend in der Woche. Dort trafen sich die Mitglieder der Freikirchen in privaten Wohnzimmern, die in einem Einzugsgebiet lebten, um in der Bibel zu lesen, darüber zu sprechen, gemeinsam zu singen und zu beten.

Zunächst hatte ich das Gefühl, dass es eine enorme Lebensbereicherung sein konnte, wenn ich mich an Gott wende. Nun hatte ich endlich etwas, was ich immer für andere tun konnte, ich konnte für sie beten. Dadurch, dass alles neu war und auch die Inhalte der Predigten mich oft ansprachen, hatte ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

Die Bibel als das älteste Buch und der christliche Glaube schienen ein gutes Fundament für meine Zukunft werden zu können.

Der allgegenwärtige Missionsdruck!

War ich anfangs so feurig unterwegs mit meinem neu gefundenen Glück und wollte es allen Freunden und Bekannten erzählen. Merkte ich bald, dass das Interesse und auch die Vorstellung von dem, was ich gefunden hatte, mein Umfeld überhaupt nicht interessierte. Ganz im Gegenteil, die Leute fühlten sich eher belästigt.

Ich lief mit meinen Versuchen, über mein Glück zu sprechen, meist ins Leere. Schnell wollten die Menschen, mit denen ich engeren Kontakt hatte oder befreundet war, nichts mehr mit mir zu tun haben.

Das schmerzte sehr. Doch war ich der Meinung, meine Richtung stimmt und bin diesen Weg damals einfach weiter gegangen.

Ich versprach mir in der Gruppe familiäre und freundschaftliche Verhältnisse.

Die Erkenntnis, dass ich das, was ich als so hilfreich empfand, meinem Umfeld nicht vermitteln konnte, erreichte mich schnell. Da ich auch immer die Einstellung hatte, dass die Menschen sich freiwillig für etwas entscheiden müssen, erzählte ich nicht mehr viel von meinem Glauben. Das war für mich in Ordnung, denn es muss ja jeder selbst wissen, was er macht.

Es begann ein wachsender innerer Kampf.

Was dann begann, war ein wachsender innerer Kampf, die meisten Menschen versuchen gut mit den Mitmenschen auszukommen und arbeiten vielleicht auch daran, wie sie das am besten tun.

Das war allerdings in der Gemeinschaft ein sehr dominierendes Thema, der Umgang mit Kollegen und Umfeld. Vor allem dabei den Glauben zu leben und davon zu erzählen. Denn für die Gläubigen aus fundamentalistischen Freikirchen geht jeder Mensch verloren, wenn er nicht an Jesus glaubt. Dadurch das die Christen an ein Leben nach dem Tod glauben, wird dieses Szenario sehr ausgeschmückt und gravierend dargestellt.

Wenn ein Mensch daran glaubt, fühlt er sich verantwortlich, über seinen Glauben zu sprechen und die Mitmenschen vor dem ewigen getrenntsein von Gott zu beschützen. Dieses Thema ist unentwegt Inhalt der Predigten und der Gesprächsgruppen und einziges Ziel, die anderen Menschen davor zu bewahren, da sie im ewigen Leben nach dem irdischen Tod keine Möglichkeit mehr haben, mit Gott zusammen zu kommen.

Ein immer stärker werdender Missionsdruck baute sich auf.

Im Laufe der Zeit baut sich so ein enormer Missionsdruck auf. Dieser wurde von einem sehr schlechten Gewissen begleitet, weil ich nur äußerst wenig über meinen Glauben sprach.

Mir ist es nicht gelungen gegen meine natürliche Einstellung, dass ich Menschen nichts aufdrängen möchte und kann, anzugehen.

So fühlte ich mich also ständig schuldig.

Versuchte ich dann doch einmal bei meinen Arbeitskollegen von meinem Lebensstil und dem Glauben zu erzählen, musste ich immer mehr erleben, dass sich über mich lustig gemacht wurde. Das waren sehr anstrengende Zeiten, die sich jedoch bald lösten, da ich schwanger wurde. Während der Schwangerschaft brach eine chronische Krankheit Colitis ulcerosa aus, wodurch ich schon vor dem Mutterschaftsurlaub nicht mehr zur Arbeit musste. Dadurch wurde ich von dem Druck, der durch mein Arbeitsumfeld bestand, befreit.

Ein paar freie und schöne Monate folgten.

Es folgten ein paar schöne Monate. Mein damaliger Ehemann studierte noch und ich ging oft mit meiner kleinen Tochter mit in die Mensa. Es fanden viele gemeinsame Unternehmungen mit Kommilitonen meines Ehemanns statt. Das war für mich das richtige normale Leben.

Die Erschöpfung bahnt sich an.

Die Zeit, die mit dem Beginn der Berufstätigkeit meines damaligen Ehemanns begann, war in so vielfältiger Weise anstrengend, dass sie zu einer über Jahre andauernden Erschöpfung führte.

Hier nur kurz angerissen. Weil ich mich isoliert fühlte unter anderem aus diesem Grund und weil die Mitarbeit erwartet wird, brachte ich mich trotz meiner inzwischen drei Kinder sehr in der Freikirche ein.

Die Musikarbeit war eine meiner Aufgaben, dass erfordert regelmäßige Zusammenkünfte zur Probe jede Woche und Verpflichtungen, zu denen ich sonntags eingeteilt war. Ich war in der Kinderarbeit, auch diese erforderte ebenfalls Treffen zur Vorbereitung mit den anderen Kindermitarbeitern und Dienste, die gleichermaßen den Sonntag zu einem Arbeitstag machten.

Die riesige Dekoration an der Bühne in dem großen Saal war meine Aufgabe, die nie befriedigte, aber viel forderte, da ich nicht wusste, ob es Anklang fand. Es interessierte nur, ob es Gott gefiel.

Nicht außer Acht lassen darf man, dass jeden Sonntag Gottesdienst war. Als ganze Familie machten wir uns morgens gegen 9:30 Uhr auf den Weg. Es gab also keinen Tag in der Woche, der wirklich zum Ausruhen da war.

Völlig erschöpft war ich auch durch die seit der ersten Schwangerschaft andauernden Colitis ulcerosa Erkrankung. Es kam eine Zeit, da festigte sich in mir der Wunsch, einfach umzufallen, was dann tatsächlich passierte. Im November 2003 hatte ich einen Schlaganfall, der zum großen Glück nur anfänglich zu körperlichen Einschränkungen führte.

Darauf folgten jedoch heftige Panikattacken, die mehr als drei Jahre meine regelmäßige Begleitung wurden.

Das führte zu noch stärkerer Erschöpfung.

Hast du das richtige Umfeld?Gebete um Heilung waren die übliche Praxis.

Weiterhin besuchte ich die Gottesdienste und auch die Hauskreise, also die Treffen in der Woche zu Hause bei Gemeindemitgliedern. Das, was ich zu Beginn meiner Glaubenszeit als so schön empfand, nämlich, dass ich für andere Menschen beten konnte, wurde mir zunehmend unangenehm, wenn es für mich praktiziert wurde.

Es wurde intensiv um Kraft gebetet, wenn jemand schwach und müde war. Das hatte jedoch zur Folge, dass an eine Pause oder ausruhen nicht zu denken war. Ganz im Gegenteil, es stellte sich ein Selbstverständnis ein, dass ich einfach nicht genügte, egal was ich tat. Trotzdem habe ich irgendwann das Gebet nicht mehr zugelassen, jedoch beobachtet ich, wie es anderen Mitgliedern erging, wenn weiter in dieser Art für sie „gesorgt“ wurde.

Nämlich, Gedanken um eine Auflösung der eigenen problematischen Situation werden zwanghaft. Die Person dreht sich nur noch um die Vorstellung, wie sie mit Gott zu einem besseren und kraftvolleren Leben kommen kann.

Ich habe beobachtet, dass es ins Burn-out und schlimmer noch meiner Meinung nach bis in Psychosen geführt hat. Auch meine Gedanken drehten sich im Kreis, da keine wirkliche Lösung in Sicht war.

Als sehr schlimm empfinde ich, dass  als nervliche Probleme auftraten, den Menschen unterstellt wurde, sie seien von Dämonen besessen. Dass zu schreiben fällt mir besonders schwer, war ich doch gut zwanzig Jahre Mitglied der Gemeinschaft, die dieses Denken hat. Nur weil ich es für notwendig halte, dass diese Praktiken bekannt werden, berichte ich so offen.

Nun, nach mehr als zehn Jahren, die es her ist, seit ich aus der Gemeinschaft ausgestiegen bin, ist mir ein solches Denken fremd. Ich habe inzwischen verstanden, wieso ich so lange Zeit einer solchen Gruppe zugehörig war.

Ich hoffe sehr, dass dieser Text Menschen hilft, die aussteigen möchten oder die Kinder oder Verwandtschaft oder Freunde in solch einer Gemeinschaft haben.

Brauchst du Unterstützung, zögere nicht und schreibe mich zu einem kostenlosen Erstgespräch an.

Alles Liebe

Unterschrift

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Inhalt
Share This